Sonntag, 26. Oktober 2014

Aftermath


... oder besser:


"YOLO in Afrika - Die Folgen dieser Lebenseinstellung und die damit verbundene Sicht auf die europäische Gesellschaft."


Als ich am 27. März das erste Mal nach knappen 9 Monaten in Afrika wieder deutschen Boden betrete, bin ich überwältigt von der Vielfalt an "First World Problems" die dieses Land zu bieten hat.
Die Lufthansa ist im Streik, Piloten wollen mehr Geld, die Boden-Crew weigert sich Gepäckstücke herauszugeben. Anpassungsfähig wie ich nun mal bin, begebe ich mich umgehend zum Beschwerde-Schalter. Es stellt sich heraus, dass die Egypt Airlines (und bis auf die Musikauswahl im Flieger war alles zufriedenstellend) nicht streiken darf (politisch korrekt oder nicht) und sich deswegen (Skandal!) mein Rucksack beim Sperrgepäck befindet.
In der S-Bahn vom Terminal zum Hauptbahnhof München zeigen sich aber Fortschritte in der Ich-Gesellschaft. Drei Master-Studenten aus dem Umland helfen einer alten und völlig verwirrten Frau bei der Orientierung. Die Mallorca-Sauf-Tour-Rückkehrer geben mir doch noch Hoffnung, dass hier oben nicht alles den Bach runtergegangen ist.
Rückschritt! Im EC von Wien nach Frankfurt über München und Ulm muss ich feststellen, dass die Architektur im sich modernisierenden Wien eine gefährliche Stadtbildänderung hervorruft. Alles natürlich sehr informativ und interessant, wenn sich die zwei älteren Damen nicht in einem Tonfall unterhalten hätten, der einer live Hardwell-Show problemlos die Stirn geboten hätte. Weitere Streitthemen an diesem Nachmittag in Abteil 9 3/4 sind: Reservierungsrichtlinien der deutschen Bahn im 21. Jahrhundert, Probleme der Modernisierung von online-Fahrtickets, Erreichbarkeit von unter 5000 Seelengemeinden mit öffentlichen Verkehrsmitteln und was der Themen mehr sind.
Verloren in dieser Flut an neuen Eingebungen blicke ich verzweifelt aus dem Fenster und erkenne das Wahrzeichen meiner Heimatstadt. 114,6 Meter hoch, das Höchste der Welt und in seiner Bauweise einzigartige ...? Ich dachte das Münster, aber weit gefehlt. Das Getreidesilo der Schapfenmühle hat also das berühmte "Ulmer Münster" als signalstärkstes Gebäude im Umkreis abgelöst.
Am Ende meines 48 Stunden Trips angefangen in Kigali, Ruanda weiter über Johannesburg, Südafrika, Stopp in Kairo, Ägypten nach München, Deutschland und dann Ulm, ist mir oben Genanntes echt egal und ich erfreue mich banaler Dinge wie fließendes Wasser, welches wärmeregelbar ist; chlorfreies und somit trinkbares Wasser, welches da unhinterfragt jeden Tag aus dem Wasserhahn rauskommt. Afrika hat seine Spuren bei mir hinterlassen, keine Frage.

Allerdings hat dieser Kontinent mit seinem Lifestyle im wahrsten Sinne Narben hinterlassen. Die Folge davon ist, dass ich von Doktor zu Doktor hetzte und mich zusammenflicken lasse. Auf diesem Weg kann ich mich auch super in die Gesellschaft integrieren und finde Spaß am Rumnörgeln über überfüllte Wartezimmer, Unterschiede der Krankenkassen, befremdlich wirkende Ärzte und mehr. Unterwegs zu neuer Zahnwurzel, stabileren Außenbändern, einer schmerzfreien Wade und einem sorglosen Kniegelenk muss ich selbst feststellen, dass Europäer auf extrem hohen Niveau lamentieren. Die Vorteile, die wir in unseren Ländern haben, werden als gegeben hingenommen (take for granted) und nicht genug geschätzt. Es scheint selbstverständlich eine Apotheke in nächster Umgebung zu haben, was die Wenigsten allerdings sehen ist, wie großartig und hilfreich so etwas in anderen Ländern wäre.



In Afrika habe ich die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen und zu lieben gelernt. Zurück Zuhause behalte ich diese Erinnerungen und Erfahrungen als eine Art Talisman. Die Essenz dessen und das Aftermath, also das was bleibt, ist sich an dem zu erfreuen was man hat und Probleme mit einem gewissen Augenzwinkern zu nehmen. Retrospektiv würde ich alles ohne Frage exakt gleich angehen und habe, blickend auf Erfahrungen und Entscheidungen rund um meine Auslandserfahrung, kaum Kritikpunkte an mir selbst. Klar hat alles Schöne und Angenehme immer ein viel zu schnelles Ende, aber das gehört einfach dazu. Zeit vergeht, ob man sie nutzt oder nicht. Deshalb sollte man versuchen das beste aus seiner Situation zu machen, auch wenn sich das öfter einfacher schreibt als es ist. Auf diesem Weg möchte ich mich nochmals bedanken bei allen Menschen, die diese Zeit so unvergesslich und wunderschön gemacht haben.




Danke Afrika ... auf bald!



JJ


P.S. dreams come true